Ein Licht in dunklen Zeiten - Leseprobe

 

Die beiden kleinen Mädchen hätten nicht unterschiedlicher sein können und doch, so schien es, waren sie im Geiste Eins.

 

Im Göttlichen Palast saß Caelifera, das jüngste Kind der Göttin Luna und des Gottes Sol, am Brunnen der Sicht und starrte hinein. Ihre Mutter schlich sich leise an sie heran, umarmte ihr kleines Mädchen sanft und setzte sich neben sie auf den Rand des Brunnes. „Was hast du, kleiner Stern?“

 

Caelifera zeigte auf das Wasser und die Göttin Luna schaute genauer hin. Sie erkannte ein kleines Mädchen mit schwarzen Haaren, welche ihr gerade einmal bis zu den Schultern reichten, große blaue Augen, die sie an Caeliferas erinnerten, schauten auf das sanfte Gesicht einer Frau. Es war wohl ihre Mutter, dachte Luna. Das Mädchen legte die Arme um den Hals ihrer Mutter und dann geschah etwas seltsames:

 

Wie aus einem Mund sprachen das Mädchen im Brunnen und ihre kleine Tochter: „Mama, warum passieren böse Dinge?“ Erschrocken schaute Luna zu Caelifera und ehe sie es sich versah, sprach auch sie wie im Chor dieselben Worte, wie die Frau, die ihr Kind mit traurigen Augen ansah: „Wo Gutes ist, da ist auch Böses, mein Schatz. Wo Licht ist, da ist auch Schatten. Alles geschieht im Gleichgewicht.“


In einem kleinen Wohnzimmer auf der Erde in einer unbedeutenden Stadt blickte Ally auf den Fernseher, der gerade eine lustige Kindersendung zeigte, als der Bildschirm plötzlich schwarz wurde und in weißer Schrift das Wort „Eilmeldung“ schnell das Schwarz durchschnitt. Ein rundlicher Fernsehmoderator erschien und sah sichtlich erschrocken aus.

„Mama, der Fernseher ist kaputt“, schrie Ally und drehte sich in Richtung Küchentür. Ihre Mutter erschien im Türrahmen und schaute gebannt auf den Fernseher, den Kochlöffel noch in der Hand.

 

Der Moderator las stockend von seinen Karten ab, während man im Hintergrund ein mit dem Mobiltelefon aufgenommenes Video zeigte: „Wir unterbrechen diese Sendung für eine wichtige Eilmeldung.“ Er räusperte sich und versuchte die Fassung wieder zu erlangen. „Heute wurden drei Passagierflugzeuge entführt und innerhalb weniger Minuten in die beiden Türme des World Trade Centers sowie in das Pentagon gesteuert. Wir schalten nun zu den Zwillingstürmen. Unser Außenreporter berichtet.“ Das Amateurvideo wurde nun groß eingeblendet, doch Mutter und Tochter bekamen es nicht mehr mit. Der Kochlöffel war zu Boden gefallen, in den Augen der Mutter standen Tränen. Mit weitaufgerissenen Augen fiel sie auf die Knie.

Ally konnte nicht verstehen, was gerade vor sich ging und umarmte ihre Mutter.

„Mama, was ist das?“

„A… Amerika.“

„Wo Papa gerade ist?“

Ihre Mutter schwieg, sie konnte sich das Schluchzen nicht mehr verkneifen und dicke Tränen kullerten ihre Wangen hinab. Ally rüttelt an den Schultern ihrer Mutter und rief sie, doch der Schmerz lag viel zu tief. Die Rufe ihrer Tochter bekam sie kaum mit und als sie schon dachte, sie würde den Verstand verlieren, erreichten die Worte von Ally sie. „Mama!!!“

Mit leiser, fast erstickter Stimme, brachte sie nur noch ein Wort heraus: „Ja…“

Ally schaute nun mit großen Augen auf die brennenden Türme. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass ihr geliebter Papa nicht mehr nach Hause kommen würde. Heiße Tränen liefen über ihre kleinen Pausbäckchen, als wollten sie nicht mehr versiegen.

 

Weit entfernt im Göttlichen Palast hatte Caelifera im Brunnen der Sicht das ganze Geschehen beobachtet. Seit jenem Tag, als die beiden Kinder gleichzeitig gesprochen hatten, fühlte Luna, dass es eine Verbindung zwischen den beiden geben musste. Sie beobachtete ihre Tochter immer öfter dabei, wie diese in den Brunnen blickte. Auch jetzt stand sie hinter einer der vielen weißen Säulen im Garten und schaute ihrer kleinen Tochter zu. Luna bemerkte schnell, dass kleine Kullertränen auf den Rand des Brunnes tropften und eilte zu ihrer Tochter. Sie warf nur einen kurzen Blick auf die Wasseroberfläche, sah die brennenden Gebäude und das weinende kleine Mädchen, welches ihre Mutter fest im Arm hielt. Caelifera fragte mit erstickter Stimme: „Warum ist das passiert?“

Luna musste kurz überlegen, denn dieses Thema war für ein kleines Kind von kaum sechs Jahren schwer verständlich. „Weißt du, Caeli, die Menschen glauben an viele Götter. Das ist auch sehr wichtig, denn dieser Glaube hilft ihnen schwere und traurige Dinge zu überstehen. Sie glauben an uns und beten zu uns. Aber es gibt auch Menschen, die glauben, sie handeln für einen Gott.“

„Aber das lernen wir doch schon ganz früh, dass wir uns nirgends einmischen dürfen“, sagte Caelifera bestimmt. Luna strich ihr über den Kopf. „Ja, meine Kleine. Wir wissen das. Aber manche Menschen glauben so sehr an ihren Gott, dass sie versuchen in seinem Namen zu handeln. Leider sind diese Taten nicht immer gut.“

„Will der Gott der Menschen denn böse Dinge tun?“

„Manche Götter tun gern böse Dinge. Hades ist ein gutes Beispiel. Aber die Götter der Menschen möchten nie, dass ihren geliebten Menschen etwas Böses geschieht.“ Luna hielt inne, um ihre weiteren Worte bedacht zu wählen. „Doch viele Menschen verstehen unsere Worte falsch. Und mit der Zeit haben sie unsere Lehren mit ihren eigenen Vorstellungen vermischt.“ Caelifera nickte und schaute wieder auf die Wasseroberfläche. Mit einem Finger tippte sie darauf und das kleine schwarzhaarige Mädchen erschien. Es weinte bitterlich.

„Mama, sie weint so sehr.“

„Sie scheint jemand wichtiges verloren zu haben.“

„Kannst du ihr nicht helfen?“

Lächelnd betrachtete Luna ihre Tochter und sagte sanft: „Nein… Jeder Mensch muss trauern. Für sich ganz allein und auf seine eigene Art und Weise. Es ist besser sie lernt damit umzugehen.“

Caelifera verstand das nicht und schlug mit der Hand auf das Wasser. „Das ist ungerecht.“

„Das Leben ist nicht immer leicht für die Menschen auf der Erde. Aber, wenn du ihr wirklich helfen möchtest, dann werde eine gute Göttin, zu der die Menschen aufschauen können.“

 

Wie es weiter geht erfährst du in der Kurznovel, die voraussichtlich im Herbst 2015 erscheinen soll.